Interview zum Amtsantritt mit Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig Demokratie stärken, Menschen verstehen und für Kompromisse werben

Foto: Portraitfoto Manuela Schwesig

© Bundesrat | Steffen Kugler

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Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig ist seit 1. November 2023 Präsidentin des Bundesrates. Im Interview spricht sie über ihre Vorhaben und den Umgang mit den weltweiten Krisen, die in ihren Amtsbeginn fallen. Sie erläutert das Motto der Präsidentschaft „Vereint Segel setzen“ und beschreibt ihren persönlichen Umgang mit politischer Verantwortung.

Frau Präsidentin, Sie repräsentieren eines der fünf Verfassungsorgane in Deutschland. Welche Bedeutung hat der Bundesrat für das Leben der Menschen in Deutschland?
Der Bundesrat repräsentiert alle Länder, politisch und regional. Er vertritt damit alle Bürgerinnen und Bürger Deutschlands. Wir in den Ländern kennen die Lebensumstände der Menschen und deren wirtschaftliche Situation. Wir wissen, was den sozialen Zusammenhalt ausmacht und vor welchen Herausforderungen wir alle zum Beispiel beim Klimaschutz stehen. So kommt das Wissen von der Ostseeküste bis zum Saarland im Bundesrat zusammen. Kurz: Der Bundesrat spiegelt das vielfältige regionale Leben der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.

Sie sind seit vielen Jahren Mitglied im Bundesrat und mit dem Haus eng verbunden. Jetzt stehen Sie an seiner Spitze. Welche Themen liegen Ihnen als Bundesratspräsidentin besonders am Herzen?
Für Mecklenburg-Vorpommern ist der Vorsitz im Bundesrat eine große Ehre und Chance. Das ist es auch für mich, denn ich bin 15 Jahre in einer Diktatur groß geworden. Ich durfte die friedliche Revolution selbst miterleben. Daher empfinde ich es als großes Privileg, in einem demokratischen Land zu leben und es mitgestalten zu können. Ich will daher in meiner Präsidentschaft die Demokratie stärken, das Ehrenamt unterstützen und das Werben für Kompromisse in den Vordergrund stellen. Unsere Demokratie lebt von einem breiten Meinungsspektrum. Unsere Aufgabe ist es, diese unterschiedlichen Meinungen zu einem gemeinsamen Weg zusammenzuführen.

Darüber hinaus möchte ich die Freundschaft zu unseren europäischen Partnern pflegen, insbesondere mit Polen. Das Land ist ein Nachbar von Mecklenburg-Vorpommern. Die Menschen auf beiden Seiten profitieren von grenzüberschreitenden Projekten und sind eng miteinander verbunden.

Der Beginn meiner Präsidentschaft fällt in die Zeit, in der Israel sich gegen die Terrorangriffe der Hamas verteidigen muss. In der letzten Bundesratssitzung haben die 16 Länder einen gemeinsamen Beschluss gefasst und deutlich gemacht: Deutschland steht an der Seite Israels. Und wir dulden keinen Antisemitismus in unserem Land. Das ist eine Verantwortung aus unserer Geschichte.

[Anmerkung der Redaktion: Die Entschließung des Bundesrates "Deutschland steht fest an der Seite Israels" wurde in der 1037. Plenarsitzung am 20. Oktober 2023 einstimmig gefasst. Mehr dazu hier.]

Während Ihrer Amtszeit feiern wir 75 Jahre Grundgesetz. Auch der Bundesrat wird 75. Welche Lehren ziehen Sie aus der Geschichte der Bundesrepublik für die Zukunft?
Dieses Jubiläum zeigt, dass es nach der Nazi-Herrschaft gelungen ist, eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft aufzubauen. Daran hat das Grundgesetz großen Anteil. Es gilt seit 1990 auch in den ostdeutschen Bundesländern. Wir haben also allen Grund, gemeinsam zu feiern. Die 75 Jahre Bundesrepublik Deutschland gehören zu den besten und glücklichsten Zeiten in unserer Geschichte.

Natürlich gibt es gerade im Moment viele Probleme und Herausforderungen, denen wir uns gemeinsam stellen müssen. Aber wir sollten uns bewusst sein, dass die Werte des Grundgesetzes die beste Basis für ein friedliches Zusammenleben sind. Das Grundgesetz sichert die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und ermöglicht eine offene und vielfältige Gesellschaft. Es ist unsere wichtigste gemeinsame Aufgabe, diese Werte zu bewahren und auch künftigen Generationen ein friedliches, freiheitliches und demokratisches Zusammenleben zu ermöglichen. Das ist über alle tagespolitischen Entscheidungen hinweg unsere wichtigste gemeinsame Aufgabe.

Trotzdem beschleicht viele der Eindruck, dass unsere Geschichte in Vergessenheit gerät. Die Demokratie kommt mehr und mehr unter Druck. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Was kann der Bundesrat tun, um das Bewusstsein für die Demokratie wieder zu stärken?
Ich schaue immer zunächst auf die, die viel für unser Land tun. Es gibt 30 Millionen Frauen, Männer und Jugendliche, die sich ehrenamtlich engagieren. Sie brauchen unsere Unterstützung. Gleichzeitig machen sich viele Menschen Sorgen. Wir übernehmen den Bundesratsvorsitz in bewegten Zeiten. Sie sind geprägt von internationalen Krisen: Dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel. Und sie sind gekennzeichnet durch große innenpolitische Herausforderungen: Von der wirtschaftlichen Entwicklung über die Energiewende, die Migration bis hin zur Bewahrung des sozialen Zusammenhalts. Die Sorgen und Ängste kann ich verstehen. Aber sie sind kein Grund, sich von der Demokratie abzuwenden. Denn nur die Demokratie sorgt für Ausgleich und faire Kompromisse.

Die Verantwortlichen auf Bundes- und auf Landesebene müssen Lösungen finden und Zuversicht verbreiten. Das ist die Aufgabe des Bundes und der Länder, also auch des Deutschen Bundestages und des Bundesrates. Dem Bundesrat kommt dabei die Aufgabe zu, die Lösungen, die vor Ort funktionieren, in die nationale Gesetzgebung einzubringen.

Im Bundesrat werden die Interessen der Länder artikuliert. Wie bringt sich Ihr Land in den Bundesrat ein? Was ist das Besondere an Mecklenburg-Vorpommern?
Das Besondere an Mecklenburg-Vorpommern ist, dass es als Flächenland sowohl die Erfahrungen von Städten als auch kleinen Dörfern einbringen kann. Diese beiden Perspektiven sind spannend und abwechslungsreich. Zwei Drittel der Fläche des Landes sind unter Naturschutz gestellt, zudem ist Mecklenburg-Vorpommern weit im Ausbau der erneuerbaren Energien vorangeschritten. Hier können wir uns mit ganz praktischen Lösungen einbringen, die die Menschen verstehen und mittragen. Zudem ist Mecklenburg-Vorpommern ein ostdeutsches Bundesland. Natürlich möchte ich als Bundesratspräsidentin auch die Perspektive der ostdeutschen Länder einbringen. Der Osten hat sich in den 33 Jahren seit der Deutschen Einheit wirklich gut entwickelt. Aber viele Probleme unserer Zeit treffen die ostdeutschen Länder härter und schneller als die westdeutschen Länder. Ich finde, wir sollten uns diesen Problemen nicht erst stellen, wenn sie auch den Westen erreicht haben.

Das Motto Ihrer Präsidentschaft ist ein maritimes: „Vereint Segel setzen“. Was steht dahinter?
„Vereint Segel setzen“ steht zunächst für das wiedervereinigte Deutschland. Was auch mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall noch immer Grund zur Freude ist. „Segel setzen“ steht für das maritime Küstenland Mecklenburg-Vorpommern und für die Herausforderungen, vor denen ganz Deutschland steht. Wir alle zusammen müssen die Segel setzen, um den Kurs zu bestimmen. Bei uns im Norden sagt man, „Egal woher der Wind weht, man muss nur die Segel richtig setzen“. Darum geht es uns, in Zeiten großer Herausforderungen und Krisen, für Orientierung und Stabilität zu sorgen. Mir ist es wichtig, den Menschen vereint Zuversicht zu geben.

Sie kennen den Bundesrat aus zwei Perspektiven: Der einer Landesministerin und Ministerpräsidentin und der einer Bundesministerin während Ihrer Zeit in der Bundesregierung. Was unterscheidet beide Blickwinkel?
Ich bin sehr froh, dass ich beide Seiten kenne. Zusammenarbeit lebt davon, dass man Verständnis für den anderen hat. Genau das habe ich. Es ist die Idee des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, dass nicht eine Seite alles bestimmen kann. Vielmehr machen der Deutsche Bundestag und der Bundesrat, der alle Länder repräsentiert, gemeinsam Gesetzgebung.

Als Bundesministerin sucht man nach Lösungen, die für ganz Deutschland allgemeingültig sind. Als Bundesratspräsidentin vertritt man die Gemeinschaft der Länder – und diese Länder sind vielfältig. Immer dann, wenn beide Sichtweisen konstruktiv zusammengedacht werden, entsteht ein gutes Ergebnis.

Die Bundesratspräsidentschaft ist ein weiteres Amt, neben Ihrem Amt als Ministerpräsidentin. Wie bewältigen Sie das in diesen herausfordernden Zeiten?
Zum einen profitiere ich in beiden Ämtern von den Erfahrungen des jeweils anderen Amtes. Für meine Tätigkeit als Bundesratspräsidentin werde ich meine Erfahrungen als Ministerpräsidentin nutzen können. Von den Eindrücken gerade im internationalen Kontext, die ich als Bundesratspräsidentin sammeln werde, soll Mecklenburg-Vorpommern profitieren. Außerdem weiß ich, dass ich mich auf ein gutes Team in der Landesregierung und im Sekretariat des Bundesrates stützen kann.

Als Politikerin stehen Sie im Licht der Öffentlichkeit. Sie werden mit Meinungen aus ganz verschiedenen Kanälen regelrecht überschüttet - Meinungen zu Ihrer Politik aber auch zu Ihrer Person. Wie gehen Sie persönlich damit um?
Indem ich nicht alles lese. Ich fokussiere mich auf die Themen. Zudem sind mir persönliche Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort wichtig. Das möchte ich auch als Bundesratspräsidentin beibehalten. Grundsätzlich ist es etwas Gutes, dass es viele verschiedene Meinungen in Deutschland gibt. Wir wollen aus unterschiedlichen Blickwinkeln die besten Ideen für unser Land gemeinsam umsetzen. Mir ist dabei wichtig, dass die Diskussion respektvoll verläuft.

Nach Hannelore Kraft und Malu Dreyer sind Sie erst die dritte Frau in der Präsidentschaft. Ist Ihnen das wichtig, bedeutet Ihnen das etwas?
Ja, denn die Zahl alleine sagt ja schon aus, dass es immer noch nicht selbstverständlich ist, dass eine Frau Präsidentin ist: In 75 Jahren haben erst drei Frauen dieses Amt übernommen. Das muss anders werden. Ich werbe dafür, dass immer mehr Frauen sich in der Politik engagieren. Denn meine Erfahrung lehrt mich, dass Politik zu besseren Entscheidungen kommt, wenn sie von Frauen und Männern gleichermaßen gestaltet wird.

Welche Termine als Bundesratspräsidentin stehen bei Ihnen als erstes an?
Wir legen gleich richtig los. Ich präsentiere im Bundesrat das Motto unserer Präsidentschaft: "Vereint Segel setzen". Dann treffe ich den Regierenden Bürgermeister von Berlin. Anschließend werden wir gemeinsam das Jüdische Krankenhaus in Berlin besuchen. Am 9. November nehme ich an einer Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht teil. Auch am Volkstrauertag werde ich die Gemeinschaft der Länder vertreten. In der Bundesratssitzung am 24. November werde ich dann meine Antrittsrede halten. Außerdem treffe ich den französischen Senatspräsidenten. Und am 29. November präsentiert sich Mecklenburg-Vorpommern mit einer Kulturveranstaltung in Berlin.

Stand 01.11.2023

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