Ziel der Gesetzgebung in Deutschland ist es, den Rahmen für eine sozial-gerechte und wirtschaftlich-konkurrenzfähige Gesellschaft sowie eine ökologisch-nachhaltige Umwelt zu setzen. Im föderalen System sollen die Gesetze den Ländern einerseits Freiraum zur Wahrung eigener Identität und Wettbewerb geben, anderseits den inneren Zusammenhalt als Einheit in Vielfalt ermöglichen. Der Bundesrat sorgt dafür, dass die Interessen der Länder in diesem Prozess auf der Ebene der Bundesgesetzgebung berücksichtigt werden.
Bundesratspräsident Henning Voscherau (Hamburg) gratuliert seinem Nachfolger Alfred Gomolka (Mecklenburg-Vorpommern), dem ersten Ministerpräsidenten aus einem der neuen Länder.
© Bundesrat
In der ersten gesamtdeutschen Sitzung mit 16 Ländern am 9. November 1990 verlieh der neue Bundesratspräsident Henning Voscherau dieser Rolle des Bundesrates Nachdruck. In seiner Antrittsrede rief der Hamburger Bürgermeister den Bundesrat zu einem stärkeren Selbstbewusstsein im Zusammenspiel mit den anderen Verfassungsorganen auf.
Dass es auf dem Weg zur Deutschen Einheit zwar zuallererst - aber nicht nur - um staatliche Einheit ging, brachte ein Jahr später der erste ostdeutsche Bundesratspräsident Alfred Gomolka, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, in seiner Antrittsrede am 8. November 1991 zum Ausdruck: „Die innere Einheit … ist keine automatische Konsequenz der staatlichen Einheit.“
Schritte des Zusammenwachsens
In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung stand vor allem die finanzielle Unterstützung der neuen Bundesländer auf der politischen Agenda. In vielen Sitzungen befasste sich auch der Bundesrat mit dieser Aufgabe und wirkte bei der Verabschiedung des Solidarpakts I (1995-2004: 106,7 Milliarden DM) und Solidarpakt II (2004-2019: 156,5 Milliarden EURO ) mit. Weitere Regelungen betrafen den Fonds „Deutsche Einheit“ ab 1990, die Einführung des Solidaritätszuschlags (1991) sowie die Integration der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich (1995).
615. Sitzung des Bundesrates am 22. Juni 1990 in Bonn
© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Auch mit dem Problem der steigenden Arbeitslosigkeit in Ost-Deutschland (1991: 10,2 Prozent in den Folgejahren ansteigend auf bis zu 20 Prozent) aber auch in West-Deutschland (1991: 6,2 Prozent, 1999: 8,6 Prozent) beschäftigte sich der Bundesrat in zahlreichen Gesetzesvorlagen.
Eine Voraussetzung für den Aufschwung in Ost-Deutschland war der Ausbau der Verkehrs-Infrastruktur. Bis 2004 wurden 11.800 km neue Straßen gebaut (10.000 km im Osten, 1.800 km im Westen). Bis 2008 wurden zusätzlich 197 Milliarden Euro in Schienen, Bundesfern- und -wasserstraßen investiert. Grundlage dafür bildete unter anderem das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, dem der Bundesrat im Dezember 1991 zustimmte.
Zur Angleichung der Lebensverhältnisse gehört auch die Angleichung der Renten. Dazu war das Rentenüberleitungsgesetz vom 25. Juli 1991 wegweisend. Es findet sein Ende im Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz, das der Bundesrat im Juli 2017 billigte. Die darin enthaltene vollständige Angleichung der Renten bis 2025 soll die soziale Einheit vollenden.
Diese Auswahl stellt nur einige Meilensteine der Gesetzgebung in 30 Jahren Deutsche Einheit dar. Insgesamt brachte der Bundesrat seit November 1990 in 370 Sitzungen rund 700 Gesetzentwürfe ein, die häufig auch die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West zum Ziel hatten.
Deutsche Einheit und Europa
Gauck: Der deutsche Föderalismus ist eine Erfolgsgeschichte, weil er sich in seiner Geschichte stets als lern- und reformfähig erwies.
© Bundesrat | Frank Bräuer
Hochauflösendes Bild (jpeg, 3MB)Ein Höhepunkt besonderer Art war der erste Besuch eines Bundespräsidenten im Bundesrat. Joachim Gauck, der von 2012 bis 2017 das höchste Staatsamt inne hatte, ging in seiner Rede am 27. November 2015 vor den Mitgliedern des Bundesrates auf den Beitrag der Föderalismus für das Gelingen der deutschen Einheit ein.
Dieses Ordnungsprinzip, basierend auf Subsidiarität und ausgelegt auf das Zusammenspiel von Bürgernähe in den Ländern und Gesamtstaatlichkeit, habe sich im Einigungsprozess bewährt und sei außerhalb Deutschlands als Strukturprinzip der europäischen Einigung anerkannt, so Gauck.
Neues Bundesratsgebäude – Spiegel deutscher Geschichte
Wie ein Sinnbild deutscher Geschichte stellt sich die Historie des ehemaligen Preußischen Herrenhauses in Berlin dar – auch und besonders im Prozess der Wiedervereinigung.
Richtfest im Gebäude am 25. Juni 1999
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1996 entschied der Bundesrat, seinen Sitz nach Berlin zu verlegen. Zu dieser Zeit präsentierte sich das Gebäude des ehemaligen Herrenhauses - gelegen in unmittelbarerer Nähe zum einstigen Todesstreifen der Berliner Mauer - in einem schlechten baulichen Zustand. Es folgten umfangreiche Modernisierungs- und Sanierungsarbeiten. Altes wurde mit Neuem kombiniert. Am 29. September 2000 kam der Bundesrat zum ersten Mal im neuen Berliner Plenarsaal zusammen.
Geleitet wurde die Sitzung von Bundesratspräsident Kurt Biedenkopf, der nach einer politischen Karriere in den alten Bundesländern nach der Wiedervereinigung erster Ministerpräsident Sachsens wurde.
Wir miteinander
Bundesratspräsident Woidke und Bürgermeister Exner enthüllen den Mottoschriftzug der EXPO
© dpa / Soeren Stache
Zur einer wichtigen Tradition haben sich seit der Wiedervereinigung die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit entwickelt. Sie finden stets in dem Land statt, das den Vorsitz im Bundesrat inne hat.
So kommt in diesem Jahr Potsdam, Landeshauptstadt Brandenburgs, die Rolle der Gastgeberin zu. Zum 30. Einheitsjubiläum resümiert Dietmar Woidke, Bundesratspräsident und Ministerpräsident des Gastgeberlandes: „Der Zeitraum vom politischen Umbruch 1989 bis zur Deutschen Einheit gehört insbesondere für die Menschen im Osten mit allen Höhen und Tiefen zu den prägendsten Lebensmomenten.“ Diese großen Momente deutscher Geschichte gelte es zu feiern.