Interview mit Björn Engholm zu 70 Jahren Bundesrat "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht neue Grenzen hochziehen"

Björn Engholm bei seiner Antrittsrede im Bundesrat, 1988

© Bundesrat

Björn Engholm ist früherer Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und einstiger Bundesratspräsident. Im Interview spricht er über seine Zeit im Bundesrat, dessen Bedeutung und wie er die Politik von heute empfindet.

Warum ist der Bundesrat so wichtig?

Ich glaube, die Erfahrung der Geschichte lehrt, wie unabdingbar es ist, Macht zu begrenzen. Eine starke Länderkammer ist die ideale Organisationsform, um die Macht des Staates zu dezentralisieren.

Wie nehmen Sie den Bundesrat heute als politischer Rentner wahr?

Es schwingt immer eine wenig freundliche bis herbe Klage mit, dass der Bundesrat sich unter Wert verkauft. Man nimmt seine Bedeutung viel zu wenig wahr. Dabei können die Länder doch noch intensiver die Interessen der Wählerbasis vertreten als das im Bundestag möglich ist. Der Bundesrat führt ein mediales Schattendasein, weil die Debatten sind nicht so spektakulär sind, in den Medien keine Schlagzeilen hervorrufen und nicht für Einschaltquoten sorgen. Dabei ist der Bundesrat ein feines, weniger ideologisches, dafür sehr kooperatives und vor allem hoch wirksames Netzwerk. Er ist ein unverzichtbares zweites Standbein deutscher Demokratie.

Das Prinzip der Gleichwertigkeit der Länder ist ein hochgehaltenes Prinzip im Bundesrat. Finden Sie die jährlich wechselnde Präsidentschaft dafür förderlich?

Bernhard Vogel (l.) gratuliert Björn Engholm (r.) zu seinem Amtsantritt als Bundesratspräsident am 14. Oktober 1988

Bernhard Vogel (l.) gratuliert Björn Engholm (r.) zu seinem Amtsantritt als Bundesratspräsident am 14. Oktober 1988

© Bundesrat

Der Präsident hätte sicherlich ein stärkeres politisches Gewicht, wenn die Amtszeit länger dauerte. Wenn man sich umhört, weiß kaum einer, wer gerade Präsident ist. Die Präsidenten sind sehr auf die Bürokratie und Unterstützung des Hauses angewiesen. Eine längere Amtszeit schiene mir sinnvoll, ist aber faktisch nicht durchsetzbar.

Hat Schleswig-Holstein während Ihrer Zeit als Bundesratspräsident profitiert?

Nein. Es hat in der Zeit – und das gilt für alle Präsidentschaften - keinen „großen Reibach“ gemacht. Aber in meine Amtszeit fiel die Wiedervereinigung. Ein sehr bewegender Moment – fast in der Grösse der Gründung der ersten und zweiten deutschen Republik.

Wie hat sie Ihr politisches Handeln beeinflusst?

Als es darum ging, politische Maßnahmen zur Finanzierung der Deutschen Einheit zu ergreifen, haben wir ganz schön gerungen, vor allen Dingen zwischen den reichen Bundesländern und mit dem Bund. Als wir dann u. a. den Solidaritätszuschlag hinbekommen haben, war es ein Beweis dafür, dass der Föderalismus funktioniert.

Björn Engholm bei der 600. Plenarsitzung am 12. Mai 1988

Björn Engholm bei der 600. Plenarsitzung am 12. Mai 1988

© Bundesrat

Sie sagten in Ihrer Antrittsrede 1988 „Wir sind in Europa auf dem guten Weg, um uns zu einigen und Grenzen, die uns noch trennen, zu beseitigen.“ Wo stehen wir heute?

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht neue Grenzen hochziehen. Der neu aufkeimende Nationalismus in einigen europäischen Ländern bedeutet immer auch Ab- und Ausgrenzung. Insofern muss ich im Vergleich zu den 80er Jahren Rückschritte feststellen. Es bleibt der Wunsch nach einen föderalen Europa.

Je kleiner die Länder, umso stärker das Plädoyer der Bundesratspräsidenten in ihren Antrittsreden für die Erhaltung der 16 Länder. Halten Sie das im Hinblick auf den Europäischen Gedanken für kontraproduktiv?

1989 hat es an Elan und Mut gefehlt, die Länder neu zu strukturieren. Heute ist das schwer zu erreichen.

Wie haben Sie die Bonner Zeiten erlebt?

Es gab die großen politischen Köpfe wie Schmidt, Brandt, Wehner, Weizsäcker, Kohl, Strauß. Die hatten Visionen. Ohne sie kann man in der Politik nichts bewegen. Der politische Diskurs war hoch lebendig. Es gab mehr Elan und mehr Leute, die die Welt verändern wollten und nicht unbedingt auf Karriere bedacht waren. Heute ist Politik eher pragmatischer und kleinteiliger. Das soll nicht heißen, dass „damals alles besser“ war, es war nur anders – und vielleicht nicht schlecht!

Stand 28.06.2019

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