Very British - Das House of Lords

Parlamentseröffnung im  House of Lords

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Es gilt als das zweitgrößte Parlament der Welt und beeindruckt durch seine Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Jährlich verliest dort die Queen mit großem Prunk das anstehende Regierungsprogramm. Doch das ehrwürdige Haus ist nicht nur Ort prächtiger Zeremonien und Treffpunkt des Adels, sondern auch ein überaus aktives Parlament, dem eine einschneidende Umgestaltung bevorsteht.

In 14 der 27 EU-Mitgliedstaaten werden Gesetze von einem Einkammerparlament beschlossen. In den anderen 13 - meist größeren - Staaten geht die Gesetzgebung von zwei unabhängigen Kammern oder Häusern aus, so wie in Deutschland von Bundestag und Bundesrat. Sie alle haben mit der Umsetzung des Lissabon-Vertrags erstmals unmittelbare Mitwirkungsrechte in der EU-Gesetzgebung erhalten. Aus diesem Anlass stellen wir an dieser Stelle in loser Folge die Zweiten Kammern der EU-Staaten vor. Den Auftakt macht eine sehr britische Einrichtung: Das House of Lords.

Blick auf dem Thron

House of Lords

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Jährlicher Höhepunkt in der parlamentarischen Monarchie Großbritanniens ist die Thronrede der Queen im House of Lords im Londoner Westminster-Palast. In roten Roben mit weißem Pelzbesatz stehen dann die Lords und Baronesses des Oberhauses zusammen mit den Abgeordneten aus dem Unterhaus im Saal und blicken ehrwürdig auf den Einzug der Queen, die anschließend mit erster Miene die vom Premierminister geschriebene Rede zum Regierungsprogramm des nächsten Jahres vorträgt.

Doch im House of Lords geht es nicht jeden Tag so prunkvoll zu. Im Alltag dominiert die schlichte Sachlichkeit - manchmal durchbrochen von alten Traditionen, die für den auswärtigen Betrachter teils kurios erscheinen.

Versammelter lebenserfahrener Adel

Mit rund 740 Lords und Baronesses ist das Oberhaus um fast 100 Mitglieder größer als die erste Kammer des britischen Parlaments, das House of Commons. Für Frauen steht das Haus erst seit 1958 offen. Heute liegt ihr Anteil bei rund 20 Prozent. Auch junge Menschen sind deutlich unterrepräsentiert. So besetzt Baroness Warsi mit 29 Jahren das unterste Ende der Altersskala. Der Mittelwert liegt jenseits des Rentenalters bei 69 Jahren. Dies ist wenig verwunderlich, denn wer Mitglied in der ältesten Parlamentskammer der Welt werden will, muss in seinem Lebenslauf Einiges vorzuweisen haben.

Margaret Thatcher neben anderen Mitgliedern des House of Lords während Eröffnung des britischen Parlaments

House of Lords

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Eine Karriere im Unterhaus kann hilfreich sein, denn der Premierminister und die Führungen der drei Unterhausparteien schlagen regelmäßig verdiente Mitstreiter aus ihren Reihen für ein Amt im Oberhaus vor.

Aber auch parteilosen Bürgern Großbritanniens, die sich in ihrem Beruf oder im sozialen Leben besonders verdient gemacht haben, steht die Mitgliedschaft offen. Die Auswahl trifft ein unabhängiger Ernennungsausschuss, der die Eignung aller Kandidaten prüft. Offiziell ins Amt - und damit in den Adelsstand - berufen werden die so genannten Life Peers von der Queen - und das auf Lebenszeit. Auch dem 2009 verstorbenen deutsch-britischen Soziologen und Politiker Ralf Dahrendorf wurde diese Ehre zu teil.

Neben den Life Peers gehören dem House of Lords 26 Bischöfe und Erzbischöfe an, sowie 92 Erbadlige, die ihr Mandat einzig ihrem blauen Blut zu verdanken haben.

Revisor mit eingeschränkter Macht

Über viele Jahrhunderte besaß das House of Lords mehr Macht als das House of Commons. Mit dem Erstarken demokratischer Strukturen kehrte sich das Verhältnis ab dem 19. Jahrhundert um. Heute übernimmt es eher die Rolle eines Revisors, indem es Gesetzentwürfe des gewählten Parlaments intensiv prüft und Ergänzungen oder Änderungen formuliert. Selten ficht es dessen Entscheidungen grundsätzlich an, zumal es lediglich das Inkrafttreten von Gesetzen hinausschieben, aber nicht verhindern kann. Das House of Lords initiiert auch eigene Gesetzentwürfe zu Themen, die in der Regel unstrittig sind. Geht es um Finanzfragen und den Staatshaushalt, bleibt dem Oberhaus die Mitsprache grundsätzlich verwehrt.

Blick auf die Oppositionsbank

House of Lords

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Außerdem fungiert das House of Lords als Kontrollstelle der Regierung. Es debattiert deren Aktivitäten und befragt Regierungsmitglieder. Zu Beginn fast jeder Sitzung müssen sich für 30 Minuten Regierungsvertreter den Fragen der Lords stellen. Zusätzlich gehen jährlich 7000 schriftliche Anfragen bei der Regierung ein.

Bis vor kurzem war das Oberhaus auch Großbritanniens oberstes Berufungsgericht in Zivilsachen. Durch eine Reform der Labour-Regierung wurde diese Funktion im Oktober 2009 an den United Kingdom Supreme Court übertragen.

Obwohl die Rolle der Lords in der Gesetzgebung vergleichweise schwach ist, wird ihre Arbeit im Allgemeinen hoch geschätzt. Dies beruht einerseits auf dem hohen Sachverstand des lebenserfahrenen Hauses, denn viele der Mitglieder haben sich als Experten in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur einen Namen gemacht. Andererseits und ganz im Gegensatz zu den Abgeordneten im Unterhaus müssen die Lords wenig oder gar nicht auf Partei- und Wahlkreisinteressen achten, denn schließlich ist ihnen ihr Amt auf Lebenszeit sicher.

Vornehmer Debattenstil

Ebenso wie das Ambiente im House of Lords wirkt auch der Umgangston traditionell und vornehm. Auch die ärgsten Konkurrenten betiteln sich mit "Noble Lord" oder "Noble Baroness". Die Debatten verlaufen nach alten Ritualen und mit größter Würde, ganz im Gegensatz zu den emotionalen Auseinandersetzungen im Unterhaus.

Blick auf dem Thron im Sitzungssaal

House of Lords

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Mit dem Bundesrat hat das House of Lords neben der sachlich-ruhigen Sitzungsatmosphäre noch eine weitere Gemeinsamkeit. Sie betrifft die Vergütung der Parlamentarier. Die Zugehörigkeit zum britischen Oberhaus als auch zum Bundesrat führt allein nicht zu Wohlstand, denn in beiden Fällen wird für die Anwesenheit bei Sitzungen nur eine kleine Aufwandsentschädigung gezahlt.

Fast täglich außer am Wochenende kommt das House of Lords in seinem prunkvollen Saal im Westminsterpalast zusammen. Fragen an die Regierung werden stets am Beginn einer Sitzung gestellt, es folgen Debatten zur Regierungspolitik, zur Gesetzgebung und zu allgemeinen Themen. Sieben Stunden dauert eine Sitzung im Durchschnitt. Während am Anfang die roten Lederbänke noch gut gefüllt sind, leeren sie sich mit Fortlauf der Debatten, doch immerhin nehmen durchschnittlich jeweils 400 Mitglieder daran teil.

Lord Speaker und Leader

Zu den herausgehobenen Ämtern im House of Lords zählt der Lord Speaker, derzeit in Person der ehemaligen Labour-Ministerin Baroness Helene Hayman. Ihr Platz ist während der Sitzungen auf dem berühmten Wollsack, einer großen mit Wolle gefüllten Sitzbank im vorderen Teil des Saales.

Blick auf den Sitz des Speakers im House of Lords

House of Lords

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Der Lord Speaker erfüllt vorwiegend repräsentative Aufgaben. Anders als sein Pendant im Unterhaus kontrolliert er nicht die Debatten oder erteilt den Mitgliedern das Wort. Auch Ordnungsrufe sind ihm nicht erlaubt. Maßregelungen wegen unangemessenen Verhaltens übernehmen die Lords untereinander selbst. "Order, Order" tönt es dann aus den Reihen.

Einen weiteren wichtigen Posten übernimmt der Leader des House of Lords. Als Mitglied der britischen Regierung koordiniert er die Regierungsgeschäfte im Oberhaus. Außerdem berät er in Verfahrensfragen, zum Beispiel, in welcher Reihenfolge den Lords bei Befragungen das Wort erteilt werden soll. Bis Oktober 2008 war die heutige "EU-Außenministerin" Catherine Ashton in diesem Amt. Ihr wird nachgesagt, maßgeblich an der Zustimmung des Oberhauses zum Lissabon-Vertrag beteiligt gewesen zu sein. Gegenwärtig nimmt Baroness Royall of Blaisdon das Amt des Leaders wahr.

Demokratie versus Tradition

Das altehrwürdige House of Lords blickt auf eine unsichere Zukunft. Zwar gilt sein Bestand nicht ernsthaft als gefährdet, obwohl es im Unterhaus schon Anträge zu seiner Abschaffung gab, vielmehr dreht sich die Debatte um seine künftige Zusammensetzung.

Bänke mit roter Lederbespannung  im House of Lords

House of Lords

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Bereits 1999 hatte die Blair-Regierung mit einer Reform dafür gesorgt, dass ein Großteil der Erbadligen das Haus verlassen musste. Die Anzahl der erblichen Aristokraten ist seitdem auf 92 beschränkt. Kritiker sahen darin sogar den Anfang zur "Vernichtung Großbritanniens".

Mittlerweile hat sich der Vorschlag durchgesetzt, künftig einen Teil der Lords in ihr Amt wählen zu lassen. Wie groß der Anteil der gewählten und berufenen Mitglieder sein soll, bleibt umstritten. In einer spektakulären Debatte im Unterhaus kamen im Jahr 2003 sieben Modelle zur Abstimmung. Die Skala reichte von "komplett gewählt" über Mischoptionen bis zu "komplett ernannt". Jedoch erhielt kein Modell im Unterhaus eine Mehrheit.

Foto: Blick auf Themsebrücke und den Westminster-Palast in London

House of Lords

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Vier Jahre später, 2007, votierten die Commons für die radikalste aller Varianten - das gesamte Oberhaus solle gewählt werden. Nicht unerwartet wiesen kurz darauf die Lords diese Lösung zurück und plädierten für ein hundertprozentig ernanntes Oberhaus.

Mittlerweile hat die Regierung neue Reformvorschläge zur Zusammensetzung des House of Lords unterbreitet. In deren Zentrum stehen die Fragen, wie und zu welchem Anteil (80 oder 100 Prozent) die Oberhausmitglieder gewählt werden sollen. Die Diskussionen dazu halten an, endgültig entschieden wurde bisher nichts.

Noch in diesem Jahr finden in Großbritannien Unterhauswahlen statt, deren Ergebnis sicherlich auch Einfluss auf die Reform haben wird. Es bleibt also spannend zu beobachten, welchen Weg die Entwicklung des ältesten und so traditionsbehafteten Parlaments nehmen wird.

Stand 08.02.2010

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