30. Jahrestag der Deutschen Einheit Stolz auf das gemeinsam Erreichte

Rede beim Festakt am Tag der Deutschen Einheit, 3. Oktober 2020
Ort: Metropolis Halle, Potsdam
- Es gilt das gesprochene Wort -

Foto: Bundesratspräsident Dietmar Woidke am Rednerpult

Bundesratspräsident Dietmar Woidke

© dpa | Soeren Stache

„Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,
sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrter Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts,
Exzellenz,
sehr geehrter Herr Köhler,
sehr geehrter Herr Wulff,
sehr geehrter Herr Gauck,
sehr geehrte Frau Bergmann-Pohl,
sehr geehrter Herr Thierse,
sehr geehrter Lothar de Maiziere,
sehr geehrter Herr Schröder
verehrte Regierungsmitglieder,
sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und -präsidenten,
meine Damen und Herren Abgeordnete,
liebe Bürgerdelegationen - von Norderstedt bis Regensburg, von Dresden bis Trier
und natürlich auch liebe Zuschauerinnen und Zuschauer zuhause an den Fernsehern –
herzlich willkommen in Brandenburg!

Ich bin stolz und glücklich, Sie im 30. Jubiläumsjahr der Deutschen Einheit hier bei uns in Brandenburg, hier bei uns in Potsdam, zum Tag der Deutschen Einheit 2020 begrüßen zu dürfen.

Ich denke, Sie konnten es eben in unserem kleinen Film sehen: Brandenburg ist umwerfend schön, ein Land voller Ideen, immer in Bewegung!
Natürlich haben wir nicht jede Hürde in den letzten 30 Jahren so filmreif und akrobatisch genommen. Doch mit Mut und Leidenschaft haben wir Brandenburg zu dem gemacht, was es heute ist. Wir haben unseren Weg gefunden und darauf sind wir stolz.

Meine Damen und Herren, wir wollen heute mit Ihnen gemeinsam unseren gesamtdeutschen Weg seit 1990 würdigen und dabei auch in die Zukunft schauen. Dennoch nutze ich die Gelegenheit, an die Opfer von Diktatur und Unterdrückung zu erinnern. Damit meine ich auch, aber eben nicht nur die Geschichte der DDR. Nein, damit meine ich Diktatur und Unterdrückung, Beschneidung der Menschenrechte und Freiheit weltweit. Dieser Tag heute soll uns auch daran erinnern, in welchem Land der Freiheit wir leben. Das wird oft vergessen – von manchen bewusst ausgeblendet. Das dürfen wir nicht zulassen.

Neben dieser Freiheit stehen für mich heute zwei Erkenntnisse im Mittelpunkt. Erstens: Unsere innere Einheit ist ein fortwährender Prozess. Wir müssen kontinuierlich weiter daran arbeiten. Und zweitens: Auch nach drei Jahrzehnten ist es nur ehrlich, wenn die Bewertungen unseres gemeinsamen Weges uneinheitlich bleiben.

Die Deutsche Einheit ist ein großer Erfolg und dennoch ist sie keine reine Erfolgsgeschichte. Wir dürfen und wir sollten sie durchaus auch kritisch betrachten. Rückschläge, Niederlagen und Fehler gehören zu unserem Weg dazu. Entscheidend ist, dass wir daraus gelernt haben. Das Zusammenwachsen von Ost und West war kein Selbstläufer. Es hat Kraft und Zeit gekostet – und das wird auch noch eine Zeit lang so sein. Es bleibt ein Prozess. Und dabei ist entscheidend, dass wir ihn gemeinsam nach vorn bringen - mit guter Grundhaltung, ohne Scheuklappen und ohne Vorurteile.

Denn wie sollte es auch anders sein? 40 Jahre lang waren wir getrennt. Hier in Potsdam hatten die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges 1945 festgelegt, dass wir in verschiedenen Welten aufwachsen, Leben erfahren, arbeiten, Freunde haben – und auch lieben. Das hat uns nachhaltig geprägt. Auf beiden Seiten der Elbe. Und das lange über 1990 hinaus.

Aus ostdeutscher Sicht glich unser Neuanfang hin und wieder einem Wechselbad der Gefühle. Wir wollten diesen Umbruch unbedingt. Mit Rückenwind aus Polen, aus Ungarn, aus ganz Osteuropa und mit dem großen Mut einer friedlichen Bürgerbewegung haben wir 1989 die Mauer eingerissen. Die wichtigste Zäsur seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der glücklichste Moment unserer jüngeren Geschichte. Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 bekamen wir Freiheit und Demokratie. Gleichzeitig mussten wir erkennen, was Anna Loos gerade besungen hat: Bei allen Veränderungen ist es wichtig, dennoch man selbst zu bleiben.

Die Suche nach unserer gesamtdeutschen Identität war für uns Ostdeutsche ein langer, manchmal schwieriger Prozess. Viele Junge wanderten ab. Wer blieb, musste sich in aller Regel neu erfinden. Vor 1990 Erreichtes und Erlebtes spielte häufig keine Rolle mehr. Als wäre ein Leben nicht gelebt worden. Sehr viele mussten nach der Einheit einen neuen Beruf erlernen, waren – so wurde es jedenfalls empfunden – „geparkt“ in ABM oder Quali-Maßnahmen. Unser neues Glück war nicht immer ungetrübt - es riss uns nicht selten auseinander, zerriss häufig unseren eigenen Werdegang, und auch die Zerbrechlichkeit des Glücks wurde für uns zur prägenden Erfahrung.

Nehmen wir das Beispiel des Filmstandortes Babelsberg. Da, wo wir heute gemeinsam feiern, herrschten vor 30 Jahren Wut, Trauer und Verunsicherung. Mehr als 700 Spielfilme, über 2.500 Dokumentar- und Trickfilme wurden hier in der DDR gedreht. 1990 war Schluss für die DEFA-Studios. Ein Großteil der Angestellten wurde entlassen. Hunderte private Existenzen, unzählige Requisiten und tausende Meter Identität auf Zelluloid waren in Gefahr. Mit vereinten Kräften aus Ost und West, mit ehemaligen Beschäftigten der DEFA-Studios, mit Landes-, Bundes- und Europäischen Mitteln wurden Stück für Stück hundert Jahre deutsche Filmgeschichte wieder zum Leben erweckt. Heute sind die Studios erfolgreicher denn je, vielfach Oscar prämiert und auch den Sandmann kennt noch immer jedes Kind.

So wie hier in Babelsberg haben wir mit jedem Erfolg, mit jedem überregionalen Durchbruch, mit jeder Rückkehr auf die Weltbühne neuen Halt gefunden. In schwierigen Zeiten haben wir nicht aufgegeben. Wir haben neue Fähigkeiten entwickelt und uns an alte Stärken erinnert. Nach und nach ist ein neues, gesamtdeutsches Selbstbewusstsein auch im Osten gewachsen. Hier in Brandenburg können sie es sehen, spüren und dank des wunderbaren Babelsberger Filmorchesters im Laufe unseres Festaktes auch immer wieder hören.

Meine Damen und Herren, die letzten drei Jahrzehnte haben uns allen einiges abverlangt, aber wir sind daran gewachsen. Jeder für sich, aber immer öfter auch gemeinsam. Unsere 30 Jahre in Einheit waren vor allem eins: ein verbindender Lernprozess. Wir haben uns kennen-, und schätzen gelernt und auch viel voneinander gelernt. Es ist wichtig, dass dieser Prozess weitergeht. Niemals darf er zur Einbahnstraße werden! Gerade die Vielfalt unseres Wissens und unserer Erfahrungen stärkt uns für die Zukunft. Deshalb ist es gut, dass sich bundesweit immer öfter die Erkenntnis durchsetzt: Vom Osten kann man lernen.

Eine selbstbewusste Frauenpolitik, Betriebskindergärten oder Polikliniken als Gesundheitszentren sind einige Beispiele. Für eine neue gesamtdeutsche Generation ist das moderner Lebensstandard. Wir älteren Ostdeutschen sind mittlerweile souverän genug, einfach stolz darauf zu sein.

Blicken wir auf das Gesamtergebnis von 30 Jahren „Deutscher Einheit“, vergleichen wir uns mit anderen Ländern, dann dürfen wir ins Schwärmen geraten. Unsere Bundesrepublik ist das Werk von 83 Millionen Menschen in 16 Bundesländern. Millionen Menschen in ganz Deutschland engagieren sich in unserem Land in ihrer Freizeit ehrenamtlich für unsere Gemeinschaft. Sie führen auch in schwierigen Zeiten Menschen zusammen, geben uns Schwung für die Zukunft. Diesen Menschen, die hier als Bürgerdelegationen im Saal sind und an den Fernsehgeräten, Ihnen allen gebührt mein besonderer Dank.

Natürlich bleibt weiter viel zu tun. Wir alle wissen, dass die Folgen der Pandemie, die zunehmende Spaltung der Welt, die Klimaveränderung unseren vollen Einsatz erfordern. Deshalb: Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren! Streiten wir nicht über Freiheit, nutzen wir sie miteinander für etwas Gutes! Leben wir unsere Einheit in Vielfalt! Bleiben wir ein offenes, solidarisches und fortschrittliches Land! Nutzen wir die Zuversicht und das Wir-Gefühl, das wir uns gemeinsam erarbeitet haben! Bauen wir auf die Gewissheit, dass sich die Bundesrepublik Deutschland gerade dann, wenn es schwierig wurde, als Solidargemeinschaft bewährt hat!

Wir haben es in der Hand. In guten und in schlechten Zeiten: Unsere Zukunft liegt im Miteinander. Ob Wirtschaftskrise, Hochwasserkatastrophe oder Fußball-WM im eigenen Land - 30 Jahre Deutsche Einheit haben vor allem eines gezeigt: Richtig gut sind wir immer dann, wenn wir zusammenhalten!

Wiedervereint haben wir unseren Platz in Europa und der Welt gefunden und wir haben globale Verantwortung übernommen. Zahlreiche Krisen haben wir zusammen durchgestanden und immer wieder gezeigt, was in uns steckt. Und auch, wenn es noch immer einen Abstand bei Löhnen und Renten gibt: Wir haben uns wirtschaftlich und gesellschaftlich gut entwickelt - in West und Ost. Davon, meine Damen und Herren, haben wir am 3. Oktober 1990 alle geträumt. Von einem vereinten Deutschland, das lebenswert, erfolgreich und zukunftsfähig ist. Dass dieser Traum in 30 Jahren Wirklichkeit geworden ist, ist unser gemeinsamer Verdienst.

Wir miteinander haben das geschafft.
Wir miteinander sind Deutschland.
Wir haben allen Grund, stolz auf uns zu sein!“

Stand 03.10.2020

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