24. November 2023 Antrittsrede von Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Damen und Herren,

Mecklenburg-Vorpommern übernimmt für die kommenden zwölf Monate zum dritten Mal in seiner Landesgeschichte die Präsidentschaft des Bundesrats. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und freue mich auf die Zusammenarbeit. Es ist mir eine Ehre, im kommenden Jahr die Sitzungen in diesem Haus zu leiten und unsere Gemeinschaft der Länder bei wichtigen Ereignissen im In- und Ausland zu vertreten. Es war ein bewegender Moment für mich, während der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Hamburg den Staffelstab zu übernehmen.

Lieber Peter Tschentscher, ich danke dir ganz herzlich für deine Arbeit als Bundesratspräsident. Du hast in herausfordernden Zeiten den Bundesrat mit hanseamtischem Weitblick souverän geleitet. Hamburg hat einen großartigen Tag der deutschen Einheit ausgerichtet. Und wir Länder sind in den vergangenen 12 Monaten von der Freien und Hansestadt Hamburg gut vertreten worden. Vielen Dank an dich, vielen Dank an Hamburg für eine starke Bundesratspräsidentschaft! Ich freue mich, dich als starken ersten Vizepräsidenten an meiner Seite zu wissen, und freue mich auch auf die Zusammenarbeit mit meiner zweiten Vizepräsidentin Anke Rehlinger.

Ich möchte auch der Direktorin und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesratsverwaltung danken, die die Arbeit des Bundesrats und auch die Präsidentschaft so professionell und engagiert unterstützen. Ich danke den Bevollmächtigten der Länder und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Vertretungen der Länder beim Bund. Allen, die dazu beitragen, dass der Bundesrat als Verfassungsorgan und als Plattform für Diskussion, Austausch und Entscheidung so gut funktioniert. Ich freue mich auf unsere Präsidentschaft 2023 / 2024.

Jedes Land, das die Bundesratspräsidentschaft übernimmt, findet für das, was es einbringen kann und will, ein Motto. Bei Hamburg hieß das Motto „Horizonte öffnen“. Daran knüpfen wir norddeutsch an. Wir wollen „Vereint Segel setzen“.

„Vereint“ - wir leben heute ganz selbstverständlich in einem vereinten Deutschland. Das ist auch 33 Jahre nach der Einheit Grund zur Freude.
Und bei allen Problemen: Wir haben in dieser Zeit gemeinsam viel erreicht.

„Segel setzen“ passt natürlich zu einem Land mit viel Wasser wie Mecklenburg-Vorpommern. Schließlich haben wir neben den 2.000 Kilometern Ostseeküste auch noch etwa 2.000 Seen.

„Segel setzen“ markiert auch die Aufgabe, vor der ganz Deutschland steht. Wir brauchen ein stabiles Boot mit guten Segeln und einen klaren Kurs. Ein altes Sprichwort lautet: Du kannst den Wind nicht ändern. Aber du kannst die Segel richtig setzen. Genau darum geht es. Wir müssen in einer Zeit großer Herausforderungen die Segel richtig setzen und Deutschland gemeinsam voranbringen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Ministerpräsidenten, die in den beiden vergangenen Jahren dieses Amt angetreten haben, haben gesagt: Wir leben in bewegten Zeiten. Das trifft ganz sicher auch auf den Herbst 2023 zu. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert schon beinahe zwei Jahre. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel, die Morde, Gräueltaten und Geiselnahmen haben uns alle erschüttert. Alle Geiseln müssen freigelassen werden. Und auch die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen leidet. Es ist gut, dass Deutschland humanitäre Hilfe leistet.

Es war ein wichtiges Signal, dass die 16 Länder in der Bundesratssitzung im Oktober eine Entschließung eingebracht haben, mit der wir gemeinsam deutlich machen: Deutschland steht eng an der Seite Israels und trägt aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung für das jüdische Leben in unserem Land. Wir müssen alles dafür tun, dass Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland sicher und ohne Angst leben können. Antisemitismus hat bei uns keinen Platz.

Für mich ist das ein besonders wichtiges Anliegen. Deshalb habe ich gleich am Tag meines Amtsantritts gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, das jüdische Krankenhaus besucht. Es ist die älteste jüdische Einrichtung in Berlin und die einzige in ganz Deutschland, die den Naziterror überstanden hat. Heute arbeiten hier Menschen aus über 50 Ländern für die Gesundheit anderer, unabhängig von Herkunft und Religion. Es war ein bewegender Besuch, und gerade das Miteinander hat mich tief beeindruckt. Einer der Chefärzte stammt aus dem Gazastreifen. Kai Wegner und ich waren uns einig: Wenn es zwischen den Menschen überall so laufen würde wie hier, dann wären wir alle einen Schritt weiter. Die Welt wäre friedlicher.

Sehr geehrte Damen und Herren,

in Deutschland stehen wir vor weiteren großen Herausforderungen. Die Wirtschaft muss gestärkt werden. Sie muss wettbewerbsfähig bleiben, und dazu gehören niedrigere Preise für Energie. Auch die Bürgerinnen und Bürger sorgen sich wegen der hohen Preise. Der Klimawandel schreitet voran. Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt. Der demografische Wandel verstärkt den Fachkräftebedarf in Deutschland. Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine Aufgabe, die Länder und Kommunen an ihre Grenzen bringt. Dazu kommt die Herausforderung, eine solide Finanzpolitik zu betreiben und gleichzeitig notwendige Zukunftsinvestitionen und Entlastungen zu stemmen. Die aktuelle Diskussion um den Bundeshaushalt zeigt das deutlich. Wir Länder werden uns in all diese Debatten konstruktiv einbringen. Über Lösungen werden wir in diesem Haus beraten und diskutieren.

Sehr geehrte Damen und Herren,

in diesen bewegten Zeiten gerät auch unsere Demokratie unter Druck. Eine große Mehrheit der Menschen in unserem Land ist für die Demokratie. Aber es steigt die Zahl derer, die sagen: Die Demokratie funktioniert nicht richtig. Die Parteien, die wir haben, die Regierungen, die wir haben, kriegen die Probleme nicht in den Griff.
Wer so denkt und demokratische Institutionen grundsätzlich in Frage stellt, neigt dazu, Protestparteien zu wählen, populistische Parteien, die mit dem ganzen demokratischen System abrechnen wollen oder es gar in ein autoritäres System verwandeln wollen. In ganz Deutschland, im Bund und in allen Ländern, stehen wir, alle Demokratinnen und Demokraten, vor dieser Herausforderung.

Wir können sie selbstbewusst angehen. Denn bei allen Problemen, denen wir uns gemeinsam stellen müssen: Die Werte unserer Demokratie sind die beste Basis für ein friedliches Zusammenleben. Wir feiern im kommenden Jahr 75 Jahre Grundgesetz. Wir werden im September einen Tag der Offenen Tür hier im Bundesrat haben und zu einem Bürgerdialog einladen. Ich freue mich auch schon auf die Bürgerfeste und greife gern die Anregung von Peter Tschentscher auf, zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes zu einer Bundesratssitzung in Bonn einzuladen.

Ich habe die ersten 15 Jahre meines Lebens in einer Diktatur verbracht und empfinde es als großes Privileg, in einem demokratischen Land zu leben und es mitgestalten zu können. Zu unserer Demokratie gehört ganz maßgeblich, dass Menschen verschiedene Meinungen haben. Das ist in Ordnung. Heute kommt es mir manchmal so vor, als komme uns das abhanden. Es gibt gerade mit dem Internet und den sozialen Netzwerken neue Möglichkeiten, die eigene Meinung zu äußern. Gleichzeitig sind immer mehr Menschen gar nicht mehr bereit, sich andere Meinungen anzuhören. Das liegt auch daran, dass die eigene Meinung oft moralisch aufgeladen wird. Es gibt dann nur noch schwarz und weiß. Du gehörst zu den Guten, oder du gehörst zu den Bösen. Ein solches Schwarz-Weiß-Denken aber ist ein Merkmal von Diktaturen, von Ideologien. Von Ausgrenzung und Spaltung. Denn nur die Auseinandersetzung über den richtigen Weg bringt uns weiter. Demokratie lebt von der Auseinandersetzung. Dazu gehört, dass wir einander zuhören, miteinander reden, einander über alle Unterschiede hinweg respektieren und in der Lage sind, Kompromisse zu finden, die dann von einer großen Mehrheit akzeptiert werden. Das ist oft anstrengend. Aber es ist das, was Demokratie stark macht.

Da haben wir im Bundesrat schon oft bewiesen. Der Bundesrat repräsentiert alle Länder, politisch und regional. Er vertritt damit alle Bürgerinnen und Bürger Deutschlands. Im Bundesrat kommen das Wissen und die Erfahrungen von der Ostseeküste bis zu den Alpen zusammen. Dazu kommen unter Umständen noch einmal andere Positionen des Bundestags und der Bundesregierung. Manchmal brauchen wir den Vermittlungsausschuss, um uns zu einigen. Dennoch sind die Beratungen im Plenum und in den Ausschüssen in aller Regel geprägt von dem Willen, Konsens herzustellen und Kompromisse zu finden. Die Diskussionen sind wohltuend sachlich. Und wir schaffen es, die vielen unterschiedlichen Positionen zu einem gemeinsamen Weg zusammenzuführen, auf dem möglichst viele mitgehen können. Das ist die Stärke unserer föderalen Demokratie.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir in Mecklenburg-Vorpommern sind Teil der Vielfalt der Länder in Deutschland und leisten unsere Beiträge. Am kommenden Mittwoch wird sich unser Land mit einer großen Kulturveranstaltung im Futurium hier in Berlin als vielfältiges und ungemein lebendiges Land vorstellen, getragen vor allem von vielen engagierten Menschen. Ich möchte Sie auch schon jetzt ganz herzlich zu den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit nach Schwerin einladen.

Unser Land hat sich seit der Wende enorm entwickelt. Feriengäste aus ganz Deutschland mögen die Ostseeküste, die alten Hansestädte, die Seenplatte.
Zwei Drittel der Fläche unseres Landes stehen unter Naturschutz. Zudem ist Mecklenburg-Vorpommern weit vorangeschritten im Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir produzieren mehr als so viel Strom, als wir selbst verbrauchen – und versorgen andere mit.

Wir sind heute ein attraktiver Wirtschaftsstandort, für traditionelle Industrie ebenso wie für moderne Branchen, etwa in der Gesundheitswirtschaft. Die Universitäten in Rostock und Greifswald zählen zu den ältesten in Deutschland und bieten heute eine gute Ausbildung ebenso wie Spitzenforschung.

Wir sind gut vernetzt mit unseren norddeutschen Nachbarländern. Und seit vielen Jahren pflegen wir eine gute Zusammenarbeit mit den Staaten rund um die Ostsee und gerade auch mit unseren polnischen Nachbarn. Die Verbindungen im demokratischen Ostseeraum reichen von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Metropolregion Stettin über eine Energiepartnerschaft mit Dänemark bis zu Städtepartnerschaften und dem jährlichen Schwedenfest in Wismar.

Ich selbst bin nahe an der deutsch-polnischen Grenze aufgewachsen, im Oderbruch. Nicht weit von dem Ort, wo eine der letzten furchtbaren Schlachten des 2. Weltkriegs stattfand, gibt es heute eine deutsch-polnische Universität. Mir liegt das deutsch-polnische Verhältnis besonders am Herzen, und so ist es mein Anliegen, dass mich meine erste Auslandsreise als Bundesratspräsidentin im Februar nach Polen führt.

Für Deutschland ist ein enges, gutes Verhältnis zu Polen, unserem größten östlichen Nachbarn, ebenso wichtig wie das traditionell gute Verhältnis mit unserem größten westlichen Nachbarn Frankreich. Ich freue mich, dass Sie, sehr geehrter Herr Präsident Larcher, heute hier sind und dieses gute Verhältnis bekräftigen. Ich sage Dankeschön. Denn ohne Frankreich wäre die Deutsche Einheit nicht möglich gewesen. Und ich würde mich freuen, wenn wir unsere Gespräche auch im Rahmen des Weimarer Dreiecks vertiefen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die gute Entwicklung seit 1989 hat Mecklenburg-Vorpommern nicht allein. Ganz Deutschland ist gewachsen und zusammengewachsen. Als ostdeutsches Land bringen wir die Erfahrung der friedlichen Revolution und der Wendezeit ein. Die Menschen in Ostdeutschland haben sich Freiheit erkämpft, ohne Waffen und Gewalt. Viele sind nach der Vereinigung Deutschlands durch eine schwere Zeit gegangen, eine Zeit der Unsicherheit und der Arbeitslosigkeit. Ich werbe dafür, nach Ostdeutschland nicht nur zu schauen, wenn es dort Probleme gibt.
Und diese nicht erst dann ernst zu nehmen, wenn sie sich auch in Westdeutschland bemerkbar machen.

Ostdeutsche Probleme sind Probleme von ganz Deutschland. Ostdeutsche Lösungen können Lösungen für ganz Deutschland sein. Ob in der Geothermie, in der medizinischen Forschung oder in der beitragsfreien Kinderbetreuung. Als Ministerpräsidentin bringe ich die Perspektive der ostdeutschen Länder ein. Als Bundesratspräsidentin schaue ich auf das ganze Land. Nach Ost und West, Nord und Süd. In die Städte und die ländlichen Regionen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben im Bundesrat oft erlebt, wie die Länder in all ihrer Verschiedenheit zusammen Lösungen gefunden haben, die unser ganzes Land voranbringen. Wir haben erlebt, wie die Vielfalt des Föderalismus unser Land und unsere Demokratie stark macht. Das wünsche ich mir auch für die kommenden zwölf Monate. Lassen Sie uns vereint Segel setzen. Auf gute Zusammenarbeit!

Stand 24.11.2023

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