07.09.2024

Pressemitteilung Festansprache der Präsidentin des Bundesrates Manuela Schwesig beim Festakt "75 Jahre Bundesrat"

Ort: Plenarsaal Bonn

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrter Herr Präsident des französischen Senats,
sehr geehrter Herr Präsident der Ersten Kammer der Niederlande,
sehr geehrte Senatoren der französischen Republik,
sehr geehrte diplomatische Vertreter der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und der französischen Republik,
sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,

erst einmal vielen Dank an Anne Kalkbrenner aus Rostock. Die Mecklenburger und Vorpommern sind gar nicht so maulfaul, und es ist gut, wenn sie sich zu Wort melden. Und vielen Dank an Herrn Ministerpräsident Wüst für seine begrüßenden Worte.

Es war sein Amtsvorgänger Karl Arnold, der vor 75 Jahren hier in diesem Raum zum ersten Bundesratspräsidenten gewählt wurde. Der Bundesrat ist eine Lehre aus den Erfahrungen der Weimarer Republik und eine Antwort auf Willkür und Gewalt im nationalsozialistischen Deutschland. Keine politische Kraft sollte zu viel Macht haben. Deshalb entscheidet nicht nur der Bundestag über die Gesetze. Wir Länder entscheiden über den Bundesrat mit.

Das kommt auch daher, dass sich die Länder mit Zustimmung und Unterstützung der Westalliierten schon vor 1949 wieder oder neu gegründet hatten. Die Länder hatten schon in den Beratungen des Parlamentarischen Rates über das Grundgesetz eine starke Stellung. Der Neuanfang der deutschen Demokratie ging von der Basis aus: von den Kommunen und den Ländern.

Wir dürfen nicht vergessen, wie wenig selbstverständlich Demokratie in Deutschland war. Deutsche Demokratieverachtung und Kriegstreiberei, Antisemitismus und Rassismus hatten Deutschland und ganz Europa ins Unglück geführt. Deutsche waren verantwortlich für millionenfachen Mord. Unsere Generation heute trägt daran keine Schuld. Aber wir haben die Verantwortung, dass wir die Erinnerung wachhalten und dass so etwas nie wieder passiert. Nie wieder Diktatur in Deutschland.

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Mai haben wir 75 Jahre Grundgesetz schon mit zwei Bürgerfesten in Bonn und Berlin gefeiert. Hier in diesem Raum hat der Parlamentarische Rat am 8. Mai 1949 das Grundgesetz verabschiedet. Hier hat die deutsche Nachkriegsdemokratie ihren Anfang. Es ist gut, dass das Haus der Geschichte die Möglichkeit anbietet, den alten Plenarsaal mit einer Führung zu besuchen.

Bonn war 50 Jahre lang die Heimat des Bundesrats und die Hauptstadt der deutschen Demokratie. Die Bonnerinnen und Bonner haben diese Aufgabe gut gelöst. Bonn war ein gelungener demokratischer Neuanfang. Bodenständig und weltoffen. Seit dem Umzug des Bundesrats nach Berlin hat sich Bonn weiter gut entwickelt, viel besser als viele befürchtet haben. Und das politische Interesse in Bonn ist immer noch groß. Das habe ich beim Bürgerfest im Mai gespürt. Danke, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Dr. Dörner, für die Gastfreundschaft Ihrer Stadt. Wir vom Bundesrat kommen immer wieder gern nach Bonn.

Aus ganz Deutschland, aus allen 16 Ländern, sind heute engagierte Bürgerinnen und Bürger zu Gast. Ich möchte stellvertretend Klaus Draeger, den Bürgermeister aus Zarrentin in Mecklenburg-Vorpommern, begrüßen. Er steht wie alle anderen Delegierten für ein besonderes Engagement und gleichzeitig für die Bedeutung der Kommunen als Fundament unserer Demokratie. Herzlich willkommen, liebe Bürgerdelegierte!

Sehr geehrte Damen und Herren,

„das vollkommenste Kunstwerk ist der Bau der politischen Freiheit“. Mit diesen Worten Friedrich Schillers hat Alterspräsident Johannes Büll die erste Sitzung des Bundesrates eröffnet. Wie vollkommen der Bau unserer politischen Freiheit ist, darüber können wir heute weiter nachdenken. Aber eins ist nach 75 Jahren klar: Die deutsche Demokratie ist eine Erfolgsgeschichte. Deutschland ist ein friedliches Land. Eingebunden in internationale Organisationen. Ein Rechtsstaat, in dem die Menschenrechte gelten. Ein wirtschaftlich erfolgreiches Land, in dem trotz aller aktuellen Probleme und trotz aller sozialen Unterschiede die meisten Bürgerinnen und Bürger einen beachtlichen Wohlstand erreicht haben. Eine stabile Demokratie. Dazu trägt der Bundesrat ganz wesentlich bei. Mit seiner Kontinuität.

Seit 1949 werden die Sitzungen durchgezählt, unabhängig von Wahlperioden. Bei 1.046 sind wir mittlerweile angekommen. Ich erinnere mich an meine erste Rede am 9. April 2009. Es ging um die Honorarreform für Ärztinnen und Ärzte, und ich war Gesundheitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Als Bundesfrauenministerin habe ich zum Beispiel das Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen im Bundesrat vertreten. Seit gut sieben Jahren bin ich Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, und ich komme immer gern in den Bundesrat. Ich erinnere mich an viele gute Gespräche und Anregungen. Danke an alle Kolleginnen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit.

Und danke an die 200 Menschen, die im Bundesrat arbeiten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Büro der Bundesratspräsidentin, die mich engagiert und professionell begleiten. Die Kolleginnen und Kollegen im Veranstaltungsmanagement. Besonders will ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nennen, die für die Ausschüsse tätig sind. Die Ausschüsse sind der Maschinenraum des Bundesrats. Und es sind Menschen, die die Maschine am Laufen halten. Ich bitte um einen großen Applaus für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesrats für ihre gute Arbeit!

Unser politisches System mag manchmal etwas unübersichtlich sein. Aber die starke Stellung der Länder im Bundesrat stellt sicher, dass möglichst viele mitwirken können. Und wenn viele eingebunden sind, dann wird das Ganze stabiler und die Entscheidungen besser. Im Bundesrat kommen Sachverstand und Erfahrungen von der Ostseeküste bis zu den Alpen zusammen. Die Mitarbeit der Länder und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern tut den Gesetzen gut. Das haben wir zuletzt beim Wachstumschancengesetz gesehen. Wir respektieren unsere Unterschiede. Gleichzeitig tragen wir eine gemeinsame Verantwortung für das ganze Land. Dazu passt auch, dass der Vorsitz des Bundesrats jedes Jahr wechselt. Jedes Land setzt seine eigenen Akzente, und doch bleibt die Arbeitsweise des Bundesrats konstant.

Der Bundesrat nimmt bewusst auch diejenigen mit in die politische Gesamtverantwortung, die im Bundestag gerade in der Opposition sind. Das macht es schwieriger, Mehrheiten zu finden. Zumal der Bundesrat durch die verschiedenen Regierungskoalitionen auf Länderebene bunter geworden ist. Manchmal brauchen wir den Vermittlungsausschuss, um uns zu einigen. Trotzdem sind die Beratungen im Plenum und in den Ausschüssen in aller Regel geprägt von dem Willen, Kompromisse zu finden. Seit seiner Gründung hat der Bundesrat 8.853 Gesetze mit beschlossen. Nur 210 zustimmungspflichtigen Gesetzen hat der Bundesrat nicht zugestimmt. Das sind kaum mehr als 2 Prozent.

Wir suchen parteiübergreifend nach Lösungen. Und in der Regel schaffen wir es, die unterschiedlichen Positionen zu einem Weg zusammenzuführen, auf dem möglichst viele mitgehen können. Das ist die Stärke unserer föderalen Demokratie. Wir sind vereint in Vielfalt und verbunden in Solidarität. Und ich finde, wir könnten als Bundesrat noch viel präsenter, noch viel selbstbewusster sein. In der Öffentlichkeit. In Bürgergesprächen. In den sozialen Medien. Was wir hier tun, sollten viel mehr Bürgerinnen und Bürger mitkriegen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

als erster Tagesordnungspunkt der 606. Sitzung des Bundesrats war die Antrittsrede des neuen Bundesratspräsidenten vorgesehen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin war pünktlich am Start. Obwohl er in der Nacht kaum geschlafen hatte und seine Rede neu schreiben musste. Es war der 10. November 1989. „Gestern Nacht war das deutsche Volk das glücklichste Volk der Welt“, sagte Walter Momper: „Das Volk der DDR hat sich die Freiheit auf der Straße erkämpft, und es hat diese Freiheit gestern zum ersten Mal gefeiert. Zusammen mit den Westberlinern.“ Wenn man das Protokoll liest mit seinen vielen persönlichen Bemerkungen, merkt man: Es war schwer, an diesem Tag zur Tagesordnung überzugehen.

18 Sitzungen später, am 9. November 1990, wurden Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in den Bundesrat aufgenommen. Ohne die deutsche Einheit wäre ich heute nicht dabei! Und viele Kolleginnen und Kollegen auch nicht.

Es war der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Alfred Gomolka, der sich im Namen der ostdeutschen Bundesländer für die gute Aufnahme bedanken durfte. In diesem Jahr ist MV das erste ostdeutsche Land, das den Tag der Deutschen Einheit zum dritten Mal ausrichten darf. Die Vorbereitungen laufen auf vollen Touren, die Vorfreude ist groß. Ich freue mich schon sehr darauf, Sie alle bei den Feierlichkeiten vom 2. bis 4. Oktober in Schwerin wiederzusehen.

Die Vereinigung Deutschlands hat unser ganzes Land bereichert. Die ostdeutschen Länder haben auch den Bundesrat bereichert. Wir bringen unsere Erfahrungen aus der friedlichen Revolution und der Wendezeit mit. Die Menschen in Ostdeutschland haben sich die Demokratie erkämpft, ohne Waffen und Gewalt. Viele sind nach der Vereinigung Deutschlands durch eine schwere Zeit gegangen, eine Zeit der Unsicherheit und der Arbeitslosigkeit. Der Weg zu wirklich gleichwertigen Lebensverhältnissen ist immer noch weit. Trotz alledem ist ganz Deutschland gewachsen und zusammengewachsen. Ost- und Westdeutschland haben sich in den vergangenen 34 Jahren gut entwickelt. Das ist auch ein Verdienst der Solidarität der Bundesländer untereinander.

Heute werbe ich dafür, nach Ostdeutschland nicht nur zu schauen, wenn es dort Probleme gibt. Und diese nicht erst dann ernst zu nehmen, wenn sie sich auch in Westdeutschland bemerkbar machen. Ostdeutsche Probleme sind Probleme von ganz Deutschland. Ostdeutsche Lösungen können Lösungen für ganz Deutschland sein. Ob in der Geothermie, in der medizinischen Forschung oder in der beitragsfreien Kinderbetreuung. Regionale Vielfalt ist unsere Stärke. Wir können voneinander lernen, und auch dafür ist der Bundesrat ein guter Ort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir treffen uns heute wenige Tage nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Wir wissen noch nicht, wie es dort weitergeht. Ob und wie das den Bundesrat verändert. Aber eines kann man sagen: Ein wachsender Teil der Bürgerinnen und Bürger hat eine Partei gewählt, bei der berechtigte Zweifel bestehen, ob sie wirklich auf dem Boden unseres Grundgesetzes, auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht. Das ist nicht die Mehrheit, aber ein deutliches Warnsignal. Demokratie ist nicht selbstverständlich.

Nie wieder Diktatur – diese Verpflichtung aus der deutschen Geschichte ist vor diesem Hintergrund wieder ganz aktuell. Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Und gleichzeitig machen wir uns Sorgen, in welche Richtung sich unser Land entwickeln könnte.

Ich finde drei Schritte jetzt wichtig. Erstens: Wir müssen vor Ort ansprechbar sein. Mit den Menschen ins Gespräch kommen. Diejenigen unterstützen, die sich in den Kommunen für Demokratie einsetzen. In der Kommunalpolitik. In den Vereinen und Initiativen.

Zweitens: Wir müssen die Probleme unseres Landes gemeinsam anpacken. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass Politik nicht vom Dauerstreit, sondern vom gemeinsamen Bemühen um die beste Lösung geprägt ist.

Drittens: Eine Zusammenarbeit mit Kräften, die unsere Demokratie in Frage stellen, kann es für mich nicht geben. Nie wieder Diktatur – das fängt im Kleinen an.

Sehr geehrte Damen und Herren,

schon der Neubeginn der Demokratie in Deutschland 1949 wäre nicht möglich gewesen ohne das Vertrauen der Westalliierten. Deutschland ist heute Teil der Europäischen Union und mit all seinen Nachbarn freundschaftlich verbunden. Einige sind heute hier vertreten – herzlich willkommen!

Ich möchte mich beim Senatspräsidenten der Niederlande, Herrn Senator Bruijn, herzlich bedanken für die Gastfreundschaft seines Landes und die engen Verbindungen zwischen dem Senat der Niederlande und dem Bundesrat.

Zweimal habe ich als Bundesratspräsidentin die französische Gastfreundschaft genießen dürfen. Die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich nach Jahrzehnten von sogenannter Erbfeindschaft und mehreren Kriegen ist ein großes Glück für unsere beiden Länder und ein Pfeiler des Friedens in Europa. Dass wir als Freunde verbunden bleiben, liegt mir sehr am Herzen. Ich möchte daher den Präsidenten des französischen Senats, Herrn Gérard Larcher, besonders begrüßen. Auch mit dem französischen Senat ist der Bundesrat eng und freundschaftlich verbunden. Sehr geehrter Herr Larcher, ich freue mich auf Ihre Rede.

Ich habe als Bundesratspräsidentin noch einmal besonders gemerkt, wie wichtig es ist, auf internationaler Ebene Gespräche zu führen und Beziehungen zu pflegen. Zum Beispiel mit der Ukraine, die sich gegen den russischen Angriffskrieg wehrt und sich gleichzeitig auf den Weg in die Europäische Union gemacht hat. Wir stehen an ihrer Seite, auch im Bundesrat. Die 16 Länder Deutschlands setzen sich für Freiheit, Frieden und Demokratie in Europa und in der Welt ein.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe die ersten 15 Jahre meines Lebens in der DDR gelebt. Ich empfinde es als großes Geschenk, dass ich heute in einem vereinten demokratischen Deutschland mitgestalten kann. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen sie schützen und verteidigen. Wir müssen sie erklären und manchmal auch verändern. Aber die Fundamente sind gut. Und dazu gehört der Bundesrat. Im Bundesrat suchen wir nach guten Lösungen und Kompromissen. Länder- und parteiübergreifend.

Im Bundesrat kommt das Beste aus 16 Ländern zusammen. Unterschiedliche Geschichten, unterschiedliche Erfahrungen, viel Sachverstand. Der Bundesrat ist der Ort der regionalen Unterschiede. Und gleichzeitig die Plattform für Solidarität und gemeinsame Verantwortung. Die 75 Jahre seit der Konstituierung des Bundesrats, die vergangenen 75 Jahre Demokratie in Deutschland, gehören zu den besten unserer Geschichte. Lassen Sie uns das gemeinsam feiern. Und lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass noch viele, viele gute Jahre dazukommen.

14.273 Zeichen

Glossary

Hinweis zum Datenschutz

Sie können hier entscheiden, ob Sie neben technisch notwendigen Cookies erlauben, dass wir statistische Informationen vollständig anonymisiert mit der Webanalyse-Software Matomo erfassen und analysieren. Statistische Informationen erleichtern uns die Bereitstellung und Optimierung unseres Webauftritts.

Die statistischen Cookies sind standardmäßig deaktiviert. Wenn Sie mit der Erfassung und Analyse statistischer Informationen einverstanden sind, aktivieren Sie bitte das Häkchen in der Checkbox „Statistik“ und klicken oder tippen Sie auf den Button „Auswahl bestätigen“. Anschließend wird in Ihrem Browser ein eindeutiger Webanalyse-Cookie abgelegt.

Weitere Informationen zum Thema Datenschutz erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.