Rede von Bundespräsident Steinmeier zur Jubiläumssitzung Geräuschloser verfassungspraktischer Alleskönner

Foto: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Rednerpult

© Bundesrat | Dirk Deckbar

Sie bot Anlass für einen Rückblick auf die Geschichte und schrieb diese selbst fort: die 1000. Sitzung des Bundesrates. Ein besonders Jubiläum – nicht nur wegen der Zahl, sondern auch wegen eines besonderen Gastes. Mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach ein glühender Verfechter des Föderalismus und zum zweiten Mal ein deutsches Staatsoberhaupt in der Länderkammer.

Kein großer Empfang, kein Festakt, keine Feier: Auch zur 1000. Sitzung behielt der Bundesrat seine berühmte nüchterne Atmosphäre bei. Die Rede des Bundespräsidenten reihte sich pragmatisch unter TOP 1 der Tagesordnung mit 81 Punkten ein. So begann - wie immer pünktlich – um 9:30 Uhr die Sitzung, zu deren Eröffnung Bundesratspräsident Reiner Haseloff zunächst Organisatorisches zum Sitzungsablauf bekannt gab.

Gelebte Einheit in Vielfalt seit mehr als 71 Jahren

Mit einer kurzen Rede begrüßte er den Bundespräsidenten und warf einen Blick auf einige Ereignisse, die den Bundesrat in 999 Sitzungen besonders prägten: Anfangsjahre, Wiedervereinigung und der Kampf gegen die Corona-Pandemie in der Gegenwart. Eines, sagte der Bundesratspräsident, sei über all die Jahrzehnte aber unverändert geblieben: „Der Bundesrat ist das Bindeglied zwischen Bund und Ländern. Oder anders gesagt: er nimmt den Faden aus Bund und Ländern auf und verbindet die losen Enden.“


Nicht immer seien die Verhandlungen zwischen beiden einfach gewesen, hinzu komme die gewachsene politische Vielfalt in den Ländern. Doch, so Reiner Haseloff, im Bundesrat „gelingt es immer wieder, die Gegensätze zwischen den unterschiedlichen parteipolitischen Überzeugungen in eine konstruktive Einigung zu überführen. Wir zeigen Einigkeit trotz vielschichtiger Bedürfnisse und sehr unterschiedlicher Herausforderungen. Einheit in Vielfalt. 1000 Sitzungen haben es gezeigt.“

Ein Ort der Arbeit

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ging zu Beginn seiner Rede auf die stets betonte Sachlichkeit der Bundesratssitzungen ein. „Sobald ‚Tagesordnungspunkt 1 – Ansprache des Bundespräsidenten‘ erledigt ist, harren allein heute mehr als 80 Drucksachen der Beratung. Ja, beim Bundesrat ist auch das 1000. Plenum vor allem eine Arbeitssitzung“.

Er selbst habe den Bundesrat in seinem politischen Leben aus verschiedenen Blickwinkeln erlebt: „ … mal im Land, mal im Bund; mal in der Regierung, mal in der Opposition.“ Er kenne die Nöte und Sorgen dieser Akteure und wisse auch um die Stimmen, „die das vermeintliche ‚Vetospiel‘ beklagt und die ‚Unregierbarkeit‘ der Republik beschworen haben.“ Wahr sei aber: „Der deutsche Föderalismus ist vielstimmig und vielfältig – und das ist kein Ergebnis irgendwelcher Fehlentwicklungen, sondern genau so gewollt.“ Einheit in Vielfalt – diese Ordnung habe mehr als einmal Handlungsfähigkeit bewiesen, auch und gerade in Zeiten der Krise.

In der Coronapandemie stehe der deutsche Föderalismus unter verschärfter Beobachtung. „Das Ineinandergreifen der Politik von Bund und Ländern, das Zusammenwirken unserer staatlichen Einrichtungen entscheidet in diesen Tagen buchstäblich über Leben und Tod. Dabei zeigt uns die Krise die Stärken unseres Bundesstaates – aber sie legt auch seine Schwächen offen. Und am Ende geht es nicht nur um die Bewältigung einer Pandemie.“ Es gehe auch um die Zukunft der Demokratie und das Vertrauen der Menschen ins gesamtstaatliche Handeln.

Machtbegrenzung als Staatsprinzip

Föderalismus, so der Bundespräsident, bedeute vor allem Machtbegrenzung: „Dass die Länder bei der Gesetzgebung und der Verwaltung des Bundes mitreden, heißt, dass kaum etwas völlig autonom und vieles nur im gegenseitigen Einvernehmen entschieden wird. Kurzum: dass niemand rücksichtslos durchregieren kann.“ Auch wenn dies langwierig und mühsam sei. “Die Beteiligung der Länder bringt neue politische Konstellationen und neue Erfahrungen mit ein. Anders kann es auch nicht sein – genau so entspricht es dem Willen des Grundgesetzes.“


Für ihn, sagte Steinmeier, verkörpere der Bundesrat „eine ausgesprochen demokratische, republikanische Lesart des Föderalismus. Er steht für den Parlamentarismus und die Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes, für Demokratie, Freiheit und die Würde des Menschen!“ Er verwies dabei auch auf die Angriffe auf die Demokratie in letzter Zeit. „Wir sehen im realen Leben, wie eine Minderheit mit den Werkzeugen digitaler Manipulation und mit unverhohlener Demagogie unsere Demokratie verächtlich macht. Ich sage heute ganz klar: Als Demokraten dürfen wir das nicht kleinreden und erst recht nicht hinnehmen!“

Demokratie braucht starke Institutionen

Die Demokratie lebe von starken Institutionen, „denn Demokratie heißt nicht radikale Individualität, heißt auch nicht rücksichtsloser Mehrheitswille. Nein, Demokratie heißt Debatte und Überzeugung, Vernunft und Wille zur Wahrheit. Demokratie heißt ausgehandelte Gemeinsamkeit – und zwar nicht nur zwischen Parteien und Fraktionen, zwischen unterschiedlichen politischen Strömungen. Sondern auch zwischen Stadt und Land, zwischen Kulturen, Prägungen und Bedürfnissen, zwischen dem Ganzen und seinen eigenstaatlichen Teilen. Erst unsere Institutionen schaffen Orte der Demokratie, an denen ein solches Aushandeln mit Vernunft und Zivilität gelingen kann.“

Vor diesem Hintergrund würdigte Steinmeier den Bundesrat als „verfassungspraktischen Alleskönner“. „Er verzahnt Bund und Länder, Exekutiven und Legislative, Politik und Verwaltung, Parteien und Koalitionen. Er wählt Verfassungsrichterinnen, sein Präsident vertritt das Staatsoberhaupt, hat eine eigene Bank und Rederecht im Bundestag. Der Bundesrat trägt regionale und lokale Interessen nach Berlin – und, eine tiefgreifende Veränderung vor bald 30 Jahren, auch bis in die Europapolitik. Viel von seiner Arbeit erledigt er geräuschlos.“

Bollwerk der Demokratie

Nach 1000 Sitzungen lasse sich sagen: „Der Bundesrat hat viel beigetragen zur Stabilität der deutschen Demokratie! Es ist gut, dass unsere debattierende Demokratie auch in der Krise erhalten bleibt, unser Staat zugleich aber reaktionsschnell und kraftvoll handeln kann.“ Die Coronakrise zeige, wie elementar Bund und Länder aufeinander angewiesen sind. Und mittendrin stehe der Bundesrat, ein Bollwerk unserer arbeitenden Demokratie.

Am Ende seiner Rede dankte Bundespräsident Steinmeier den Mitgliedern des Bundesrates und auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses für ihren Beitrag zum Gelingen unserer Demokratie. „Lassen Sie uns unserer Verantwortung gemeinsam gerecht werden, damit die, die nach uns kommen, Föderalismus und Demokratie auch bei der zweitausendsten und dreitausendsten Plenarsitzung des Bundesrates feiern können.


Natürlich auch dann, wie immer, nur ganz kurz – bevor es direkt wieder an die Arbeit geht.“

Stand 12.02.2021

Geschichte des Bundesrates im Zeitstrahl:

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